Scholz’ Neujahrsansprache

Scholz’ Neujahrsansprache

 

Noch-Bundeskanzler Olaf Scholz hat seine letzte Neujahrsansprache gehalten. Wer nun erwartet hat, dass hier eine Mensch gewordene Schlaftablette hohle Allgemeinplätze aneinanderreiht, dem sei gesagt: Genau so war es auch. Dennoch lohnt es sich, ein paar Aspekte dieser Rede näher zu beleuchten.

Scholz behauptet, Deutschland sei ein Land des Miteinanders: “Wir sind kein Land des Gegeneinanders, auch nicht des Aneinander-vorbei. Sondern ein Land des Miteinanders.” Unwillkürlich stellt sich hier die Frage: Wenn man nicht von einer “Volksgemeinschaft” ausgeht, die keine Klassen, sondern nur Deutsche kennt – wer ist dann dieses “wir”? Werktätige und Kapitalisten ziehen für dieselben Interessen an einem Strang? Ist der Mann so weltfremd, oder denkt er, dass wir es sind? In Wahrheit trifft es “aneinander vorbei” ziemlich gut: Diejenigen, die den Reichtum produzieren, und diejenigen, die ihn einstecken, leben in völlig verschiedenen Welten – im selben Land, und doch Lichtjahre voneinander entfernt. Und welche dieser beiden Klassen tatsächlich die Macht hat, ist wohl für jeden offensichtlich, der nur sehen will.

“Daraus können wir Kraft schöpfen – erst recht in schwierigen Zeiten wie diesen”, fährt der Noch-Bundeskanzler fort. Doch was meint er mit den “schwierigen Zeiten”? Rezession, Inflation, Kriegsgefahr und Sozialkahlschlag für Aufrüstung? In diesem Fall hätte er – das muss man Scholz lassen – sich und seine Regierung rhetorisch geschickt aus der Affäre gezogen: Er spricht von diesen schwierigen Zeiten, als seien wir wie von einer Naturkatastrophe plötzlich und unvermittelt von ihnen heimgesucht worden. Den Hinweis, dass diese schwierigen Zeiten politisch verursacht und damit letztlich gewollt sind, sucht man in dieser Rede jedenfalls vergeblich.

Und schließlich zählt Scholz all das auf, was aus seiner Sicht gut ist in Deutschland. Interessanterweise führt er dabei auch die enge Zusammenarbeit der Tarifpartner an. Im Klartext: “Arbeitgeber” und Gewerkschaften arbeiten gut zusammen, um sich harmonisch und “sozialpartnerschaftlich” zu einigen. Ein prominenter Vertreter einer Partei, die sich heute noch als “Arbeiterpartei” präsentieren und die Stimmen der Werktätigen gewinnen will, freut sich offen darüber, dass sich die Interessenvertretung der Werktätigen von den Kapitalisten unterbuttern lässt und mit diesen ein paar lauwarme Kompromisse schließt, statt für eine Verbesserung der Lebenslage zu kämpfen. Da wären wir wieder bei der “Volksgemeinschaft” und der Frage, wer die Macht hat …

Doch die Kräfte des Widerstands gegen dieses verrottete kapitalistische System sind vorhanden. Sie sind noch schwach, sie sind zersplittert und kochen zu oft ihr eigenes Süppchen – aber sie sind da, und sie werden mehr. Für dieses neue Jahr kann man ihnen nur Einigkeit, Kampfgeist und viel Erfolg wünschen. Allen Lesern und ihren Familien wünschen wir für 2025 Glück, Gesundheit, Erfolg – und Frieden!

Ralph Petroff