Sanktionen – Alternative oder Brücke zum Krieg? – Vortrag von Dr. Manfred Sohn

Sanktionen – Alternative oder Brücke zum Krieg? – Vortrag von Dr. Manfred Sohn

 

Am 12. Juni fand eine gemeinsame Veranstaltung der Freidenker, des Lesekreises der NachDenkSeiten sowie der DKP mit Dr. Manfred Sohn statt. Sohn ist Vorsitzender der Marx-Engels-Stiftung und trug aus seinem Buch Die Sanktionsmaschine: Eine Einführung vor. Der Saal war gut gefüllt, bis zu 50 Gäste waren anwesend. Wir bedanken uns bei allen, die an dieser gelungenen Veranstaltung beteiligt waren – ganz besonders natürlich beim Referenten.

Zunächst sprach Sohn über die aktuellen Sanktionen gegen Russland: Er zitierte aus der FAZ und schilderte, dass eine weitere Verschärfung geplant ist. (Überhaupt zitierte Sohn auffällig oft bürgerliche Medien; wie er selbst dazu sagte: Man müsse nicht mal linke Medien lesen; oft genüge es, die rechten Medien aufmerksam und mit kritischem Geist zu lesen.) Dann verwies er auf Sahra Wagenknecht, die im Bundestag von einem Wirtschaftskrieg gegen Russland gesprochen hatte, aber auch auf das Buch The Economic Weapon des bürgerlichen Autors Nicholas Mulder. Beides, so Sohn, bringe es auf den Punkt: Sanktionen sind Wirtschaftskrieg.

Nach einem ausführlichen Zitat aus seinem Buch schilderte der Autor, dass Sanktionen ein relativ neues Phänomen sind und nicht etwa mit der Belagerung von Städten im Mittelalter verglichen werden können. Solange die Wirtschaft noch weitgehend regional und autark war, hätten Sanktionen auch gar keinen Sinn ergeben; erst mit dem Aufkommen des Weltmarkts seien wirtschaftliche Strafmaßnahmen in ihrer heutigen Form aufgekommen. In der Periode von 1840 bis 1914 habe dennoch die Regel gegolten, dass Kriege die Geschäfte nicht stören dürfen. Das habe sich erst mit dem Ersten Weltkrieg und der Embargopolitik Großbritanniens und Frankreichs geändert. Mit dem Aufkommen des europäischen Imperialismus sei die Trennung von Krieg und Geschäft zunehmend unmöglich geworden; der Wirtschaftskrieg wurde zur Ergänzung des militärischen Krieges. (Später gingen die Überlegungen sogar noch weiter, und US-Präsident Woodrow Wilson sah den Wirtschaftskrieg gar als möglichen Ersatz für den militärischen Krieg.)

Als nach dem Zweiten Weltkrieg die UNO gegründet wurde, war ihr oberstes Ziel, den Weltfrieden zu wahren; auch deshalb wurde beschlossen, dass nur der UN-Sicherheitsrat Sanktionen verhängen darf. Alle einseitigen Sanktionen – wie sie besonders bei USA und EU beliebt sind – sind folglich Willkür und völkerrechtswidrig. Die 90er-Jahre waren die Ära der UN-Sanktionen, als das frisch kapitalistisch gewordene und dem Westen zu jener Zeit unterwürfige Russland sowie teilweise auch China nicht gewillt oder fähig waren, dem Westen entgegenzutreten. Ab etwa 2000 – und nicht zuletzt unter dem Eindruck der verheerenden Sanktionen gegen den Irak, die laut US-Außenministerin Madeleine Albright eine halbe Million toter irakischer Kinder wert waren, änderte sich das zunehmend. UN-Sanktionen waren nun nicht mehr ohne Weiteres möglich – doch wenn die Sanktionspolitik nicht mehr im Rahmen des Völkerrechts möglich ist, muss sie eben gegen jenes durchgeführt werden. Das Zentrum der Sanktionsmaschinerie hat sich, wie Sohn so treffend darlegte, von New York (also dem Sitz der UNO) nach Washington (ins Weiße Haus und das Pentagon) verlagert.

Die Sanktionen gegen Russland hatten noch mal eine ganz neue Qualität – doch der Schuss ging nach hinten los: Während die russische Wirtschaft wächst, schrumpft sie im Westen. Das russische Öl und Gas, das der Westen nicht mehr will, wird jetzt eben billiger an den Rest der Welt verkauft. (Teilweise floss es von dort übrigens über Umwege doch zu uns – eine Praxis, die im neuen Sanktionspaket mit dem Verbot des Reimports über Drittstaaten bzw. Sekundärsanktionen gegen ebenjene beendet werden soll.) Die USA seien rational genug, dieses Schießen ins eigene Knie zu stoppen; die EU hingegen verhält sich wie ein Spielsüchtiger: Weitermachen, wir haben schon zu viel investiert, das klappt schon noch!

Überhaupt fällt die EU durch ein sehr herrisches Auftreten auf – gerade auch gegenüber China. So werden etwa unverschämte wirtschaftliche Forderungen gegenüber Peking erhoben, das Land wird zudem unter Druck gesetzt, sich an den Sanktionen gegen Russland zu beteiligen. Doch angesichts der Kräfteverhältnisse wirkt sie dabei zunehmend wie ein Zwergpinscher, der einen Schäferhund verbellt. Sohn rechnete vor: Die Bevölkerung der USA, der EU und Japans beträgt zusammen rund 900 Millionen Menschen. Dem stehen allein 1,4 Milliarden Chinesen gegenüber – hinzu kommen noch mal so viele Inder, rund 150 Millionen Russen usw. Wenn nun also diese 900 Millionen ohne relevante Verbündete einen Wirtschaftskrieg gegen fast drei Milliarden Menschen führen wollen, die zudem wirtschaftlich nicht mehr rückständig und schwach, sondern in vielen Bereichen inzwischen führend sind, so sei das nur als Wahnsinn zu bezeichnen.

Überhaupt stellte Sohn dar, dass die historisch kurze Periode westlicher Dominanz eine Ausnahmesituation ist/war – die westlichen Länder waren aufgrund der Industriellen Revolution und der Kolonialisierung der Dritten Welt eine Zeitlang die einzigen, die bestimmte relevante Produkte herstellen konnten; diese Phase sei aber längst vorbei. Man merke dies auch etwa daran, dass es in der westlichen Presse heiße, US-Präsident Donald Trump beendet den Zollkrieg mit China; korrekt müsste es heißen: Trump muss klein beigeben. Die Sanktionen wirkten nicht mehr, weil die Dritte Welt (vor allem die BRICS und hier in erster Linie Russland und China) erstarken und nicht mehr unter westlicher Kontrolle stehen oder auf diesen angewiesen sind.

Obwohl Sanktionen gerne als zivile Alternative zum Krieg dargestellt werden, widerspricht Sohn energisch: Nach der Logik der Sanktionspolitik ist Neutralität unmöglich, weil diese sowie jeglicher Handel mit dem Feind die Sanktionen ja untergraben. Somit wird im Grunde jedes Land gezwungen, sich auf einer Seite der Front einzureihen; und dies mache Sanktionen nicht zur Alternative zum, sondern zur Brücke in den Krieg. Zudem bedingt die Sanktionspolitik die Mobilisierung und Festigung der Heimatfront. Dies zeige die Kampagne für die Ukraine, aber vor allem die Dämonisierung bis hin zur Kriminalisierung jener, die sich daran nicht beteiligen wollen.

In der folgenden Debatte gab es zwei interessante Aspekte. Ein Zuschauer fragte grob gesagt: Sind die so dumm, oder tun die nur so? Beides, so Sohn – einige in Politik und Wirtschaft kapieren durchaus, dass die Zeit der westlichen Dominanz abgelaufen ist; andere hingegen kämpfen mit umso mehr Trotz gegen Windmühlen. Bei einer Frage nach der Rolle transnationaler Konzerne und einer Art internationalen Bourgeoisie zeigte sich Sohn skeptisch: Diese Frage erinnere ihn an die alte Debatte zwischen Lenin und Kautsky über den Ultraimperialismus. Wenn es aber quasi eine internationale Kollektivbourgeoisie gäbe, wären Kriege schwer erklärlich. Die Bourgeoisie sei nach wie vor nationalstaatlich organisiert, und wenn Friedrich Merz als Deutscher Vorsitzender bei BlackRock war, dann handelte es sich dennoch um einen US-Konzern. Auch und gerade aufgrund dieser nationalstaatlichen Organisierung werde ja nun wieder zunehmend der Nationalismus geschürt.

Ralph Petroff + D. S.