Medien. Macht. Meinung.

Medien. Macht. Meinung.

 

Immer wieder hört man: Die Zahl der Menschen, die den Mainstream-Medien glauben, nimmt stetig ab. Doch woran könnte das liegen? Sind diese Leute wirklich nur Opfer von “Desinformation” und “Propaganda”? Oder ist es nicht im Gegenteil eher so, dass sie “unsere” Desinformation und Propaganda durchschauen? Berichten die Medien wirklich manipulativ? Wenn ja, wie – und warum? Und sind Begriffe wie “Lügenpresse” zutreffend oder eher grob vereinfachend?

Renate Dillmann ist dem in ihrem bemerkenswerten Buch “Medien. Macht. Meinung” nachgegangen. Im ersten Abschnitt stellt sie die Mechanismen dar, mit denen die Medien im Sinne der Staatsräson manipulieren. Das beginnt bereits bei der Selektivität der Berichterstattung: Über Negatives im eigenen Land wird selten berichtet; es sei denn, es geht um “die Wirtschaft”. Damit sind dann natürlich neoliberale Positionen und Forderungen verbunden. Doch auch mit Begriffen wird manipuliert: So liegt der Unterschied zwischen einer Regierung und einem Regime beispielsweise allein in der westlichen Bewertung der jeweiligen Herrschenden. Hinzu kommt, dass Begrifflichkeiten bewusst genutzt werden: Auffällig sei etwa, so Dillmann, das der Ukraine-Krieg ein “brutaler russischer Angriffskrieg” ist, während Kriege anderswo einfach “ausbrechen” wie eine Naturgewalt. Darüber hinaus werden Proteste in Feindstaaten mit offener Sympathie begleitet, während sie bei Verbündeten als Ärgernis behandelt werden. Polizeigewalt zeigt hier, dass die Demonstranten Radikale sind, während sie dort zeigt, dass eine brutale Diktatur herrscht. Gerne wird zudem die Vorgeschichte ausgeblendet, es werden parteiische “Experten” herangezogen. Und das sind nur einige Beispiele.

Dillmann konstatiert also, dass die Medien in Auswahl und Bewertung politisch vorgegebenen Sprachregelungen und Einstufungen folgen. Im zweiten Abschnitt geht sie der Frage nach, warum das so ist. Nachdem sie zunächst das Verhältnis von Medien und Herrschenden am Beispiel Deutschland historisch nachzeichnet, kommt die Autorin zu einem interessanten Gedanken: Meinungsfreiheit ist ein typisch kapitalistisches Phänomen. In einer Gesellschaft, in der jeder mit jedem konkurriert, kann es per se kaum Einigkeit geben – und diese vielen verschiedenen Meinungen müssen dann ebenfalls im “freien Austausch” miteinander konkurrieren. Doch die Meinungsfreiheit hat auch eine andere Seite: Meinen (und in geringerem Maße auch sagen) kann jeder, was er will – nur lässt sich damit auch nicht der geringste praktische Einfluss nehmen. Zumal auch die bürgerliche Meinungsfreiheit enge Grenzen hat, die in Krisenzeiten immer enger werden: Detailliert zeichnet Dillmann die Verengung des zulässigen Meinungskorridors und die repressiven Maßnahmen in den letzten Jahren nach.

Und die Autorin wirft eine ganz entscheidende Frage auf: Jeder darf seine Meinung frei äußern – aber wer hat die Möglichkeit, dies mit einer gewissen Reichweite zu tun? Zwar wurde das durch YouTube, soziale Netzwerke oder Internetblogs etwas demokratisiert, doch gehen dortige Beiträge zumeist in der schieren Fülle unter und werden zur Nadel im Heuhaufen. Um ein großes Medienhaus zu betreiben, braucht es aber eine Menge Geld – und es ist ebenso erhellend wie erwartbar, woher das kommt: So schreibt Dillmann etwa, die FAZ habe ihr Startkapital einst von 50 Großunternehmen bekommen – und das gewiss nicht, damit sie linke Positionen verbreitet oder auch nur neutral informiert. Wer eine Zeitung oder einen Fernsehsender gründet, hat jede Menge Geld und/oder ist auf Werbeeinnahmen angewiesen; so oder so wird das betreffende Medium also die Interessen der Reichen und Mächtigen vertreten. Und bei den Öffentlich-Rechtlichen ist es nicht grundlegend anders, weil diese letzten Endes (wiewohl mittelbar) unter staatlicher Kontrolle stehen.

Der Staat ist der Staat der Kapitalisten, die Politik dient den Interessen der Kapitalisten – und so ist es natürlich kein Wunder, dass sich Medien, die entweder vom Geld der Kapitalisten abhängig oder direkt der Politik unterstellt sind, sich komplett der Staatsräson verpflichtet fühlen. Doch Dillmann macht noch auf einen weiteren Faktor aufmerksam: Dadurch, dass der Fokus auch bei den Medien immer mehr in Richtung Profit und Rendite verlagert wurde, bleibt für ordentliche Recherche kaum noch Zeit – und so verlassen sich immer mehr Journalisten unkritisch auf Meldungen von Nachrichtenagenturen oder Presseerklärungen von Unternehmen oder Ministerien. Wird doch mal selbst recherchiert, ist man auf Gesprächspartner angewiesen – und will diese Kontakte natürlich nicht durch kritische Artikel vergraulen. Das Ergebnis ist ein Gefälligkeitsjournalismus, der den Mächtigen nach dem Mund redet.

Im dritten Teil untersucht Dillmann das bisher Dargestellte an drei konkreten Fallbeispielen – Ukraine, Palästina und China. Das ist einerseits ein sehr interessanter Abschnitt, andererseits in mancher Hinsicht aber auch der schwächste des Buches: Zum Thema Russland/Ukraine, das bereits in den vorherigen Teilen bisweilen als Beispiel angeführt wurde, wiederholen sich viele Passagen und Argumente, bisweilen sogar nahezu wortwörtlich. Doch besonders Dillmanns Gedanken zu China sind ansprechend und lehrreich, weil sie viele der gängigen Vorwürfe gegen die Volksrepublik eloquent und faktenreich widerlegt. Sie geht gerade auch auf die Dauerpropaganda zu Taiwan und den Uiguren ausführlich ein und belegt, wie verzerrt und parteiisch die deutschen Medien berichten. Doch lässt sie immer wieder durchblicken (ohne jedoch näher darauf einzugehen), dass sie China nicht mehr für ein sozialistisches Land hält; aus meiner Sicht ist das eine sehr oberflächliche Betrachtung, die ihrer sonstigen tiefgründigen Analyse im Buch überhaupt nicht entspricht.

Sieht man von diesem kleinen Makel (und der Tatsache, dass das Buch durchaus einen Lektor hätte gebrauchen können) ab, ist das Werk aber unbedingt empfehlenswert. Dass die Medien nicht neutral sind und im Sinne der Staatsräson berichten, wäre kein Buch wert und würde keine fünf Seiten füllen. Doch Dillmann bleibt dabei nicht stehen, sondern nimmt gewissermaßen eine Autopsie vor. Sie belegt an zahlreichen Beispielen, wo und in welchem Sinne die Medien Partei ergreifen und manipulieren, in aller Regel jedoch, ohne direkt zu lügen. Und sie analysiert, warum das so ist. Man kann diesem Buch nur eine weite Verbreitung wünschen.

 

Medien. Macht. Meinung.

ISBN-10: 389438834X

ISBN-13: 978-3894388348

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Ralph Petroff