Antisemitismus am KZ Flossenbürg?

Antisemitismus am KZ Flossenbürg?

 

Am 13. Mai wurde die Gedenkstätte Flossenbürg mit Graffiti verunstaltet. Laut Medien soll es sich um Antifa-Parolen gehandelt haben, allerdings musste ich eine ganze Weile suchen, um Informationen über deren Inhalt zu finden. Erst das OberpfalzEcho veröffentlichte Bilder: Free all Antifas steht da, Nazis töten oder Rote Jugend.

Wir wissen nichts über die Täter – die Inhalte deuten auf Linke hin, doch ist nicht ausgeschlossen, dass es eine Aktion unter falscher Flagge war. Ganz unabhängig davon ist aber klar: Der Respekt vor dem durch das faschistische Regime Ermordeten verbietet es, die Wände eines Konzentrationslagers für die Verbreitung von Botschaften zu nutzen, mögen diese auch noch so gut gemeint sein. Außerdem muss jedem, der geistig älter als fünf Jahre alt ist, doch klar sein, dass diese Aktion ein gewaltiges Eigentor werden musste (wenn es denn Linke waren), das alle Gegner der Linken ausschlachten. Und ganz ehrlich: Man kann es ihnen nicht einmal verdenken – bei einer solchen Steilvorlage wären sie ja saublöd, wenn sie diese nicht nutzen würden.

Entsprechend geht jetzt natürlich wieder das Geschrei über linken Antisemitismus los. Für die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (RIAS) in Bayern liegt ein antisemitischer Vorfall vor. Nun ist es zwar abgrundtief dumm und unsensibel, Parolen an ein ehemaliges Konzentrationslager zu schmieren – was an antifaschistischen Parolen ohne jede Bezugnahme auf Juden aber antisemitisch sein soll, erschließt sich mir nicht. Doch vermutlich geht es auch gar nicht darum, sondern lediglich darum, mal wieder die Sau von der antisemitischen Linken durchs Dorf zu treiben.

Tatsache ist: Linken Antisemitismus gibt es nicht. Was es gibt, sind ein paar Leute, die sich für “links” halten, obwohl sie antisemitische Positionen vertreten. Doch der Begriff linker Antisemitismus legt nahe, dass dieser Antisemitismus – genau wie bei Faschisten und Islamisten – in linken Ideologien selbst angelegt sei; und genau das ist eben einfach nicht der Fall. Antisemitismus ist nicht nur per se falsch und moralisch verwerflich; er dient auch objektiv als Instrument der Klassenspaltung. Wir sind proletarische Internationalisten und stehen auf der Seite der Arbeiterklasse bzw. aller werktätigen Schichten – egal welcher Nationalität oder Religion. Gerade dieses Klassenbewusstsein ist das, was uns von der völkischen Rechten trennt – für diese geht es bloß um Volk, Nation und Rasse; die Klassenfrage stört da nur die nationale Einheit.

Ein umstrittenes Thema in dieser Hinsicht ist Israel. Für einige Leute ist jegliche Kritik an diesem Staat antisemitisch; für andere hingegen gibt es überhaupt keine Grenzen. Diese Leute erkennen Antisemitismus nicht mal dann, wenn Israel mit dem alten Nazisymbol der jüdischen Krake dargestellt und die israelische Flagge mit dem Hakenkreuz verfremdet wird. Und ja, es gibt tatsächlich Menschen, die ihren Antisemitismus dadurch zu tarnen suchen, dass sie statt Juden einfach Israel sagen (oft zeigt sich das an Entmenschlichungen sowie etwa der plumpen, auf die alte Ritualmordlegende anspielenden Parole Kindermörder Israel). Doch Tatsache ist: Antisemitismus bedeutet vereinfacht gesagt, Juden als solche zu hassen. Antizionismus ist die Ablehnung einer politischen Ideologie. Das Ganze wird zwar dadurch verkompliziert, dass der Zionismus eine spezifisch jüdische Ideologie ist, die ohne den Bezug auf die Juden ihres konkreten Inhalts beraubt wäre. Dennoch ist die Ablehnung der zionistischen Ideologie zunächst mal ebenso wenig Antisemitismus, wie etwa die Ablehnung des russischen Einmarschs in die Ukraine automatisch Russenhass bedeutet.

Doch was ist Zionismus überhaupt? Grob gesagt bezeichnet der Begriff das Streben nach einem jüdischen Nationalstaat. Mir wäre es zwar lieber, wenn ein solcher gar nicht nötig wäre – die Geschichte indes hat auf tragische Weise das Gegenteil bewiesen. Das Problem mit dem Zionismus ist jedoch, dass es nicht einfach um einen jüdischen Staat geht, sondern um einen jüdischen Staat im biblischen Israel – was vor der Gründung dieses Staates das Britische Mandatsgebiet Palästina war. “Ein Land ohne Volk für ein Volk ohne Land, hieß es damals in zionistischen Kreisen – dumm nur, dass das Land keineswegs ohne Volk, sondern mehrheitlich von Arabern bewohnt war. Was also tun? Entweder, die Juden lassen sich dort einfach nieder und leben in einem gemeinsamen Staat Seite an Seite mit den Arabern. Das wäre dann allerdings kein jüdischer Staat, sondern ein multiethnischer mit jüdischer Minderheit. Oder man stellt eine jüdische Dominanz her – und das geht nur mit Vertreibung der arabischen Mehrheit und der Degradierung der im Land verbliebenen (jetzt) Minderheit zu Bürgern zweiter Klasse.

Hier liegt das Problem, das wir mit dem Zionismus haben: Er beruht darauf, dass ein anderes Volk, das dort bereits gelebt hat, unterworfen wurde. Gegen die Existenz eines jüdischen Staates haben wir (abgesehen von der oben gemachten Einschränkung) nicht das Geringste einzuwenden. Und es ist auch keineswegs so, dass Israel das einzige Land wäre, das als Besatzungsmacht agiert und das angestammte Volk unterdrückt (genannt sei hier als Beispiel Marokko und sein Umgang mit der Westsahara). Insofern sind ein einseitiger Fokus auf Israel und strengere Maßstäbe für dieses Land tatsächlich nicht angebracht. Doch die politische Ideologie des Zionismus, die brachiale Reaktion Israels auf die zu verurteilenden Angriffe der Hamas vom 7. Oktober 2023 und einige zutiefst rassistische und auf einen Völkermord abzielenden Zitate israelischer Politiker und Medien zu kritisieren, hat grundsätzlich nichts mit Antisemitismus zu tun.

Es ist mitnichten so, dass wir das Existenzrecht Israels (das eigentlich eh nur ein abstrakter Begriff ist – Staaten existieren, oder sie existieren nicht) in Frage stellen. Und dass wir die Hamas und ähnliche Gruppen ablehnen, die unseren politischen Vorstellungen komplett zuwiderlaufen, sollte eigentlich klar sein. Doch wir treten für das Existenzrecht Palästinas und der Palästinenser ein. Ob dies nun in Form eines gemeinsamen Staates für zwei gleichberechtigte Völker, eines eigenen palästinensischen Staates oder sonst irgendeiner Form geschieht, haben die Betroffenen vor Ort zu entscheiden. Unsere Position ist jedenfalls nicht von Antisemitismus, sondern von Internationalismus geprägt. Aktionen wie jene in Flossenbürg helfen dabei allerdings kein Stück weiter, sondern sind nichts als ein Ausdruck fundamentaler Dummheit.

Ralph Petroff