Squid Game aus kommunistischer Perspektive
Am 27. Juni erschien die letzte Staffel der weltweit populären Serie Squid Game. Es soll in diesem Text keineswegs darum gehen, deren Handlung vorwegzunehmen; insofern ist auch keine “Spoilerwarnung“ nötig. Vielmehr soll die Serie aus kommunistischer Perspektive analysiert werden.
Noch mal zur Erinnerung bzw. für jene, die die Serie nicht kennen: Eine mysteriöse Organisation rekrutiert 456 Spieler in wirtschaftlicher Notlage, die um einen beachtlichen Geldpreis in Variationen südkoreanischer Kinderspiele gegeneinander antreten. Derjenige, der sich letztlich durchsetzt, bekommt den gesamten Preis. Der Haken: Wer scheitert, wird getötet. Diese mörderischen Spiele finden zur Belustigung superreicher und gelangweilter “VIPs“ statt, die sich die Spiele vergnügt ansehen und darauf Wetten abschließen. (Bezeichnend ist diesbezüglich eine Szene, in der die reichen Voyeure spekulieren, wie das Votum der Spieler ausfällt, die Spiele fortzusetzen. Einer zeigt sich skeptisch: Er rechnet vor, dass der Pro-Kopf-Gewinn inzwischen im Millionen-Dollar-Bereich ist, und stellt abschätzig fest: “Das ist viel Geld für solche Leute.“)
Bereits hier springen die Parallelen zum Kapitalismus ins Auge (und genau darauf wollte der Macher der Serie auch hinaus): Erste Voraussetzung für die Spiele ist überhaupt die Klassenspaltung. Es braucht eine Schicht von Menschen, die reich genug ist, das alles zu organisieren und die Arenen zu schaffen, in denen gespielt wird. Und es braucht eine andere Schicht, die so elendig lebt und so dringend Geld braucht, dass sie dafür sogar ihr Leben zu riskieren bereit ist. Der Sieger bekommt am Ende alles und ist ein gemachter Mann – allerdings ist dieser Reichtum auf einem Berg von Leichen aufgebaut. Aufschlussreich ist diesbezüglich auch der politische Faktor: Ab Staffel 2 dürfen die Spieler nämlich nach jedem Spiel abstimmen, ob sie weiterspielen wollen oder nicht. Am Ende verkündet einer der Aufseher: “Eurer freien und demokratischen Wahl entsprechend werden die Spiele morgen fortgesetzt.“ Doch wenn jene, die abbrechen wollten, die die weiterspielen wollten, entsetzt nach dem Grund fragten, wird klar: Eine freie und demokratische Wahl kann es bei ökonomischer Abhängigkeit nicht geben. Oder anders gesagt: Welche Freiheit hat man, für den Abbruch der Spiele zu stimmen, wenn man das Geld dringend braucht?
Interessant ist auch die Dynamik unter den Spielern: Es bilden sich Grüppchen heraus, die miteinander solidarisch sind und versuchen, einander während und abseits der Spiele beizustehen. Andere Spieler wiederum werden gierig und versuchen gar, ihren Mitspielern bis hin zur Tötung gezielt zu schaden – je mehr man auf diese Weise ausschaltet, desto besser die eigenen Chancen. Daran wird deutlich, was der mörderische kapitalistische Konkurrenzkampf aus den Werktätigen macht: Während einige Klassenbewusstsein und -solidarität entwickeln, verrohen andere Teile in dieser Ellbogengesellschaft regelrecht. Und natürlich ist der Traum, selbst mal zur Elite aufzusteigen, als wirksames Zuckerbrot immer präsent.
Die größte Abweichung von der kapitalistischen Produktionsweise besteht indes in der Motivation der reichen Elite: In Squid Game werden die “VIPs“ als gelangweilte und völlig entmenschlichte Zyniker dargestellt, die sich an den Spielen ergötzen wie an Sportveranstaltungen. Der finanzielle Faktor spielt über die Wetten eine gewisse, jedoch eine untergeordnete Rolle – und wenn, dann bereichern sich die “VIPs“ aneinander. Geld wechselt den Besitzer, aber es wird kein Neuwert geschaffen. Im Kapitalismus hingegen ist es genau umgekehrt: Natürlich verachten die Eliten das werktätige Volk und schauen voller Spott und Geringschätzung auf den “Pöbel“ herab. Oberste Priorität hat jedoch, dass wir für sie Mehrwert produzieren. Die Kapitalisten brauchen uns, um sich an unserer Arbeit zu bereichern; in diesem Rahmen wird uns gnädig ein Existenzrecht zugesprochen. Steht in der Serie also das perverse Vergnügen der Reichen im Vordergrund, so sind es im realen Kapitalismus schnöde ökonomische Interessen.
Obwohl es also durchaus auch Abweichungen von der kapitalistischen Gesellschaft gibt und die Serie letzten Endes natürlich vor allem Unterhaltung ist, macht Squid Game dennoch deutlich: Die Reichen verheizen die Armen, deren Kampf ums Überleben ist gnadenlos – und formell läuft alles schön demokratisch ab. Ich denke, gerade darin liegt einer der Gründe für die enorme Popularität der Serie: Natürlich ist sie auch einfach gut gemacht, man möchte nach jeder Folge wissen, wie es weitergeht – und man wünscht sich mehr Informationen über diese ominöse Organisation. Doch gleichzeitig kann sich im Grunde jeder damit identifizieren: Wie im echten Leben ist jeder, der nicht VIP ist, ein potenzieller Spieler in diesem mörderischen Kampf um die nackte Existenz. Es ist zu hoffen, dass möglichst viele Zuschauer diese (ja nicht gerade subtil vermittelte) Botschaft verstehen und beherzigen.
Ralph Petroff