Knacks in der medialen Einheitsfront
Im Spiegel ist am 14. September ein bemerkenswerter Artikel erschienen – bemerkenswert vor allem deshalb, weil er der Linie des Blattes und überhaupt des politisch-medialen Establishments diametral entgegengesetzt ist. Schon die Überschrift “Wir müssen verhandeln” verrät es: Autor Ralf Geilhufe stellt sich gegen die bellizistische Einheitsfront und die Dämonisierung der Gegner dieser Politik.
Leider ist der Artikel hinter einer Bezahlschranke versteckt – vermutlich aus gutem Grund: So kann man sich des Meinungspluralismus rühmen, doch lesen wird ihn fast niemand. Dabei wäre genau das wünschenswert, denn der Autor rüttelt an einigen Dogmen der Herrschenden. Zunächst einmal zitiert Geilhufe den Ukraine-Ultra Ralf Fücks von der Stiftung Liberale Moderne mit einigen markigen Sprüchen, bevor er die Frage aufwirft: Wer zahlt die Rechnung? Und er äußert Zweifel daran, dass Deutschland nicht Kriegspartei sei oder werde; dabei kritisiert er auch die Berichterstattung im Spiegel. Geilhufe wirft die Frage auf: Wenn die Ukraine trotz aller Waffenlieferungen nicht weiterkommt – und danach sieht es aus, denn dem Land gehen die Soldaten aus –, was dann? Dann wird man sich zwischen “Russland darf nicht gewinnen” und “Wir werden nicht Kriegspartei” entscheiden müssen. Und die Vermutung, dass das letztere Motto fiele, ist keineswegs gewagt.
Doch auch das geistige Klima der “Kriegstüchtigkeit” kritisiert Geilhufe: “Den Stahlhelm abnehmen” oder “Ist der Tod fürs Vaterland süß?”, lauten zwei Zwischenüberschriften. Und er bezweifelt zu Recht, ob viele Deutsche bereit wären, diesen Geschmack zu kosten. Der Autor stellt zutreffend fest, dass es ein großer Schritt vom Tragen eines blau-gelben Armbands zur Bereitschaft zum Heldentod an der Ostfront ist. In letzter Konsequenz müssten die westlichen Länder also eigene Soldaten in die Ukraine schicken – und spätestens dann würde der Krieg eskalieren.
Wenn wir nun aber nicht weiterkommen, ohne uns vollends in den Krieg verwickeln zu lassen, und Geilhufe zugleich mit Recht feststellt, dass Russland nicht einfach verschwinden oder sich plötzlich zum Wertewesten bekehren lässt – was folgt dann daraus? Für den Autor bleibt nur die Option, “verbal abzurüsten”, “mit schwierigen Gesprächspartnern, auch seinen Gegnern, zu reden, Vertrauen zu gewinnen, anstatt sie vor laufenden Kameras moralisch zu belehren”. Es wird wieder eine Annäherung geben müssen, so Geilhufe – denn was sonst sei die Alternative zum Töten auf dem Schlachtfeld? Und was besonders bemerkenswert ist: Er gesteht ein (wenn auch mit der Einschränkung “vielleicht”), dass der Westen Fehler gemacht hat. Geilhufe suggeriert, es sei falsch gewesen, Russland “im Namen der Freiheit immer enger auf die Pelle zu rücken”.
Warum aber diese bemerkenswerten neuen Töne? Neben der Funktion als Feigenblatt dürfte der Grund vor allem darin zu finden sein, dass die Stimmung im Land kippt. Die Menschen werden “kriegsmüde”, die Erhaltung des Friedens und der eigenen Lebensqualität werden ab einem gewissen Punkt wichtiger als abstrakte Bekenntnisse zu “Freiheit” und einer “regelbasierten Weltordnung”.
Bei einer dem Artikel angefügten Umfrage, ob “die internationale Gemeinschaft” mit Russland verhandeln sollte, antworteten 58 Prozent mit Ja. Wohlgemerkt, nicht etwa 58 Prozent aller Leser, sondern nur derjenigen, die Stammleser genug sind, ein Bezahl-Abo abzuschließen. Dass ein solcher Artikel überhaupt erscheinen konnte, hat gewiss auch damit zu tun …
Doch klar ist auch: Sosehr die Stimmung auch kippt und so sinnvoll derartige Artikel sind: Von nichts kommt nichts. Die Herrschenden müssen Druck bekommen, damit sie ihre Politik womöglich revidieren. Notwendig dafür sind eine starke Friedensbewegung sowie aktive soziale Kämpfe. Und für beides ist die DKP eine ausgezeichnete Adresse.
Ralph Petroff