Kommentar zum Terroranschlag in Moskau

Kommentar zum Terroranschlag in Moskau –

Und zur Berichterstattung darüber

 

In Moskau hat sich ein schrecklicher Terroranschlag ereignet. Der Respekt gebietet es, zuerst den Hinterbliebenen unser tiefstes Mitgefühl auszudrücken. Von San Francisco bis Tokio, von Murmansk bis Melbourne – derartige Angriffe auf Zivilisten sind überall bedingungslos zu verurteilen, egal, wer die Opfer sind.

Leider ist das im Wertewesten offenbar kein Konsens. Das Nachrichtenportal t-online hat in dieser Hinsicht den Vogel abgeschossen: In einem Artikel über den barbarischen Angriff findet sich kein Wort des Bedauerns oder des Mitgefühls. Stattdessen heißt es schon im Titel: “Jetzt droht Putins blutige Rache”. Überspitzt formuliert: Das Mitgefühl mit den Tätern ist offensichtlich größer als das mit den Opfern. (Wobei es das eigentlich nicht richtig trifft, denn Letzteres ist ja offensichtlich nicht vorhanden – auch, wenn in einem anderen Artikel zur westlichen Imagepflege etwas Anteilnahme geheuchelt wird.) Es waren ja schließlich nur Russen …

Nachdem der Autor eine Weile die Tat schildert, wird sie flugs wieder zur Propaganda benutzt: “Der Terror trifft Russland ins Mark und Putin wird nur eine Reaktion kennen: Vergeltung, mit aller Gewalt.” Ich frage mich, ob derartig auch 2001 über George W. Bush geschrieben worden wäre, dessen Reaktion auf die Anschläge am 11. September ja nun – vorsichtig formuliert – auch nicht gerade zimperlich war. Nein, damals hieß es “God bless America” und “bedingungslose Solidarität” – die Terroristen müssen zur Strecke gebracht werden, und wo gehobelt wird, da fallen nun mal Späne … Geht es um Russland, steht das Feindbild vom blutrünstigen Iwan hingegen, und nicht ohne spürbare Häme wird festgestellt: “Russland wird in einer Zeit von dem Terror getroffen, in der das Land ohnehin sehr verletzlich scheint. Kremlchef Wladimir Putin steht unter Druck, denn schon die andauernden Angriffe von kremlkritischen Milizen in der südwestlichen Provinz Belgorod erwecken den Anschein, dass die russische Führung ihr Land nicht mehr schützen kann.”

Schließlich wird spekuliert, wer hinter den Anschlägen stecken könnte. Nachdem zu Recht festgestellt wird, dass Bekenntnisse des IS zu Anschlägen nicht immer verlässlich sind, erreicht der Autor – der, es sei noch mal betont, keinerlei Mitgefühl äußert – den Tiefpunkt seiner Ausführungen: Nicht nur wird unterstellt, Wladimir Putin persönlich stecke hinter den furchtbaren Anschlägen tschetschenischer Islamisten in Moskau von 2002. Es wird auch noch suggeriert (wenn auch mit Recht wieder verworfen), es könne sich auch diesmal um eine Operation des russischen Staates unter falscher Flagge gehandelt haben!

Die Theorie, dass die Ukraine dahinterstecken könnte, verwirft der Autor hingegen rundheraus (und wohl auch zu Recht, trägt dieser Anschlag doch die Handschrift islamistischer Milizen) – mit dem interessanten Argument: “Was hätte Kiew davon? Die ukrainische Führung ringt um mehr Unterstützung aus dem Westen und gleichzeitig auch stets um die Solidarität von Russen, die Putins Krieg kritisieren. Mit einem derartig blinden Racheakt würde man diese Strategie komplett unterminieren.” Doch es sei an dieser Stelle auch daran erinnert, dass es die Ukraine ist, die aus Verzweiflung oder zur Vorweisung irgendwelcher scheinbarer Erfolge wöchentlich Moskau und andere Orte in Russland mit Drohnen angreift. Der militärische Mehrwert solcher Aktionen ist gleich null, und zivile Opfer werden dabei in Kauf genommen, wenn nicht sogar gewollt. Mit dieser Art von Angriffen kennt sich die Ukraine ja seit 2014 bestens aus. Erinnern wir uns an Syrien: Jeder Giftgasangriff von 2013 bis 2015 wurde von westlichen Regierungen sofort Baschar al-Assad in die Schuhe geschoben. Und das, obwohl Syrien seine Chemiewaffenvorräte inzwischen unter internationaler Aufsicht abgegeben hatte. Die Regierung war damals auf dem Vormarsch und hätte absolut keinen Grund gehabt, diese von Barack Obama lauthals verkündete “rote Linie” zu überschreiten und damit womöglich eine offene US-Intervention auszulösen. Ganz anders die islamistischen Aufständischen, die genau diese Intervention herbeiführen mussten, um ihren unvermeidlichen Untergang doch noch abzuwenden.

Wer damals die Frage nach einem Motiv gestellt hat – und man muss kein Kriminalist sein, sondern nur etwas Tatort-Erfahrung haben, um zu wissen, dass das zu den ersten Schritten einer Ermittlung gehört – , wurde als Verschwörungstheoretiker und Befürworter von Massenmord an den Pranger gestellt. Zynisch seien solche Überlegungen, hieß es, gar eine Verhöhnung der Opfer! Wenn es nun aber um die Ukraine (oder irgendeine andere Marionette des Westens) geht, dann darf plötzlich wieder rational gedacht und argumentiert werden. Dann wiederum werden die Theorien eines Angriffs unter falscher Flagge – in Syrien noch ein moralisches Schwerverbrechen – dem Opfer gegenüber angewandt, so absurd das auch sein mag …

Und so wird erneut deutlich, dass Katastrophe nicht gleich Katastrophe ist und die Opfer geopolitisch und rassistisch kategorisiert werden. Ein schlagender Beweis für die moralische Überlegenheit des Wertewestens …

Ralph Petroff und D. S.