Tschechoslowakei 1968

Tschechoslowakei 1968

 

Der berühmte “Prager Frühling” – das war ein Versuch, den Sozialismus liberaler zu gestalten. Ein “menschliches Antlitz” sollte der Sozialismus in der Tschechoslowakei bekommen – aber weil die Sowjets und andere sozialistische Staaten das nicht dulden konnten, wurde der Reformversuch erbarmungslos niedergewalzt. Das ist jedenfalls das Bild, das uns Presse, Funk und Fernsehen vermitteln.

Aber war es denn wirklich so? Das Buch “Tschechoslowakei 1968” von 1988 wirft ein anderes Licht auf die damaligen Ereignisse. Bereits im Vorwort werden interessante Fakten präsentiert. Nachdem der Westen im Kampf gegen den sozialistischen Osten gelernt hatte, dass die aggressiven Versuche des “Rollback” keinen Erfolg haben würden, wurde verstärkt eine andere Taktik gewählt: Der Sozialismus sollte von innen aufgeweicht, ausgehöhlt und sozialdemokratisiert werden. Die führenden Politiker in den sozialistischen Staaten sollten zu immer mehr Zugeständnissen bewegt werden, bis vom Sozialismus am Ende nichts mehr übrig gewesen wäre. Dass diese Taktik gerade um die Zeit des Erscheinens des Buches erfolgreich war, gibt dem Ganzen eine bittere Note.

In diesem Zusammenhang wird auch aufgezeigt, dass dem neuen Kurs der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei in der Bundesrepublik verdächtiges Wohlwollen entgegengebracht wurde. So wurde die großzügige Aufnahme tschechoslowakischer Gastarbeiter versprochen, um dort die Arbeitslosigkeit abzumildern. Die Wirtschaftsreformen von Ota Šik, die auf die Restauration des Kapitalismus hinausgelaufen wären, wurden von Wirtschaftskreisen als “echter Systemwandel” begrüßt. Franz Josef Strauß wird mit den Worten zitiert, um die bundesdeutsche Einmischung in der Tschechoslowakei werde “zu viel Lärm gemacht” – womit er diese indirekt eingestand.

Die Fehler der Partei vor allem in den 60ern werden nicht verschwiegen – vor allem eine chaotische Wirtschaftsplanung und Vernachlässigung der ideologischen Arbeit. Doch schon damals zeigte sich, dass rechtsopportunistische Elemente auch innerhalb der Partei die berechtigte Kritik daran missbrauchten, um mehr oder weniger offen für eine Abkehr vom Sozialismus zu plädieren. Immer mehr Vorschläge wurden gemacht, die auf eine Schwächung der Rolle der Partei, der Wirtschaftsplanung und des Gemeineigentums hinausliefen. Leider wurde dem weitgehend zugesehen.

Unter Alexander Dubček als Generalsekretär hatten diese Kräfte plötzlich nahezu freie Bahn. Es fand zunächst eine prinzipienlose Liberalisierung statt, die feindlich gesinnten Elementen alle Freiheiten bot. Unter dem Deckmantel, Fehler aufarbeiten zu wollen, wurde die Vergangenheit beschmutzt und zu einem einzigen Verbrechen erklärt. die Planwirtschaft wurde aufgelockert, ja beinahe aufgehoben, die Außenwirtschaft auf den Handel mit dem Westen orientiert. Das Gemeineigentum an den Produktionsmitteln sollte zunächst durch das Eigentum kleiner Grüppchen ersetzt werden, die miteinander in Konkurrenz stünden. Im Schweizer Exil gab Šik schließlich zu, dass das nur ein Zwischenschritt auf dem Weg zum Kapitalismus hätte sein sollen.

Im Buch werden die Ziele und Bestrebungen der “Reformer” folgendermaßen auf den Punkt gebracht: “Die revisionistischen Konzeptionen richteten sich auf die Aufhebung der führenden Rolle der Partei in der Volkswirtschaft, auf die Umwandlung des Volkseigentums in Gruppeneigentum, auf die Schaffung von Voraussetzungen für das private Unternehmertum sowie auf die allmähliche Trennung der tschechoslowakischen Volkswirtschaft von der sozialistischen Gemeinschaft und dem Rat für Gegenseitige Wirtschaftshilfe. Die zentrale Planung sollte von dem sogenannten Marktmechanismus ersetzt werden. ” (S. 146)

Und so wird am Ende deutlich, dass es bei der damaligen “Reformpolitik” darum ging, unter wohlklingenden Parolen von “Liberalisierung” und “Sozialismus mit menschlichem Antlitz” den Sozialismus wegzureformieren und scheibchenweise den Kapitalismus wiederherzustellen. Wenn die Staaten des Warschauer Vertrages nicht eingegriffen hätten, hätte dem Sozialismus (und den Kommunisten) in der Tschechoslowakei große Gefahr gedroht – Korruption, Ungleichheit, gesellschaftliche Spaltung, Unrecht und Reaktion, also genau das, was wir nach der “Wende” beobachten konnten. Die “schöne neue Welt” entpuppte sich als Illusion, die nur für die allerwenigsten wahr wurde – auf Kosten der Volksmassen, die darunter zu leiden haben. Nach der Lektüre wird deutlich, dass all das bereits 20 Jahre vorher hätte wahr werden sollen. Daraus gilt es, für einen zukünftigen Anlauf zum Sozialismus Lehren zu ziehen.

 

Tschechoslowakei 1968

ISBN 3885010755

ISBN-13 9783885010753

Momentan leider schwer zu bekommen.

 

Ralph Petroff